Die Rolle Irans im Gaza-Krieg

Bahman Nirumand. Foto: Hans Weingartz - Dieses Bild steht unter einer Creative-Commons-Lizenz.

15. Januar 2009
Von Bahman Nirumand
Die Islamische Republik Iran befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits bietet die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas für das Regime in Teheran eine willkommene Gelegenheit, sich als jene Macht zu präsentieren, die unter den islamisch-arabischen Staaten am entschiedensten die Ziele des palästinensischen Widerstands unterstützt. Aus der Sicht der breiten Massen in den islamischen Ländern gilt die Islamische Republik ohnehin als einzige Macht in der Region, die, im Gegensatz zu den arabischen Herrschern, genug Mut besitzt, um Israel und den USA die Stirn zu bieten. Die israelische Offensive könnte demnach Iran eine weitere Möglichkeit liefern, seine führende Rolle in der radikal-islamischen Bewegung auszubauen und seinen Einfluss in der gesamten Region zu stärken. Doch andererseits weiß das Regime sehr wohl, dass es sich nicht allzu sehr aus dem Fenster lehnen und unter keinen Umständen Schritte unternehmen darf, die Israel einen Vorwand liefern könnten, den längst geplanten militärischen Angriff gegen den Iran zu starten. Somit zwingen die Chance einerseits und das Risiko andererseits das Regime zu einer Gradwanderung.

An verbalen Attacken gegen Israel und Solidaritätskundgebungen für Hamas fehlt es nicht. Täglich finden in mehreren Städten Demonstrationen und Kundgebungen statt, bei denen Agitatoren und geübte Prediger des Gottesstaates Israel und die USA als kleinen und großen Teufel an den Pranger stellen und die jubelnde Menge ihnen Beifall spendet und Fahnen der beiden Staaten verbrennt. Die Proteste richten sich aber auch gegen andere Mächte, die Israel unterstützen.  

Verbale Attacken und Solidaritätskundgebungen

Am 31. Dezember 2008 stürmten Demonstranten, vorwiegend Jugendliche, auf das Gelände der britischen Botschaft in Teheran, um ihren Unmut gegen die britische Unterstützung für Israel zum Ausdruck zu bringen. Sie rissen im Botschaftsgarten die britische Fahne herunter und hissten stattdessen die palästinensische Flagge. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die ihrerseits zeigen wollte, dass der Staat solcherlei Exzesse nicht duldet und in der Lage ist, „spontane“ Reaktionen in Schranken zu weisen.

Ähnliche Aktionen wiederholten sich an darauf folgenden Tagen. Am 1. Januar 2009 versammelten sich einige Tausend Studentinnen und Studenten mit Totenhemden bekleidet vor der früheren US-Botschaft in Teheran. Sie skandierten „Tod Israel, Tod USA“, verbrannten Fahnen, auch Bilder des ägyptischen Präsidenten Hussni Mubarak. Es gab auch Protestkundgebungen vor der jordanischen Botschaft, der ägyptischen Interessenvertretung und der saudischen Fluggesellschaft. Den Regierungen dieser Staaten wird Kollaboration mit Israel vorgeworfen. Zudem wird die Regierung in Kairo beschimpft, weil sie ihre Grenzen zum Gaza-Streifen geschlossen hält. Fünf Studentenverbände stellten Ägypten ein Ultimatum, bis zum 1. Januar die Grenzen zu öffnen. „Andernfalls betrachten wir es als unsere revolutionäre Pflicht, das zu wiederholen, was am 3. November 1979 geschah“, hieß es in der Erklärung der Studenten. Damals wurde die US-Botschaft in Teheran besetzt und die Botschaftsangehörigen wurden in Geiselhaft genommen. Das Ultimatum verstrich allerdings folgenlos.

Rituale des Protests

Die Studenten, die sich an den Demonstrationen beteiligen, gehören fast ausschließlich der Basidjis an. Die Organisation wurde zu Beginn der Revolution vor dreißig Jahren zum Aufbau des Landes gegründet. Inzwischen kontrolliert sie mit Millionen zum Teil bewaffneten Mitgliedern sämtliche staatlichen Einrichtungen, auch Universitäten und Schulen. Vor einigen Monaten wurde das Kommando der Basidjis auf den Chef der Revolutionsgarden übertragen.  

Iranischen Medienberichten zufolge sind inzwischen rund 25.000 Freiwillige dem Aufruf des Revolutionsführers Ali Chamenei zur Unterstützung des Kampfes der Palästinenser gefolgt. Chamenei hatte am 28. Dezember 2008 die Muslime in der ganzen Welt aufgerufen, den gerechten Kampf des Palästinensischen Volkes gegen Israel zu unterstützen. Jeder, der bei diesem Kampf getötet werde, gelte als Märtyrer, sagte er. Nach schiitischer Darstellung kommen Märtyrer ins Paradies. Einige Tausend Freiwillig führten Tage lang einen Sitzstreik am Teheraner Flughafen. Sie verlangten die Erlaubnis, am Kampf der Palästinenser direkt teilzunehmen. Doch hier zog wiederum der Staat, der als moderat erscheinen wollte, die Zügel. Revolutionsführer Chamenei, der selbst die Geister gerufen hatte, verbot den Opferbereiten die Ausreise. Iran könne potenziellen Attentätern nicht erlauben, auszureisen und militärisch gegen Israel vorzugehen, wurde er vom staatlichen Fernsehen zitiert. Die Regierung werde die palästinensische Hamas-Organisation aber auf andere Art zu unterstützen versuchen. Zuvor hatte Dawud Ahmadinedschad, der Bruder des Präsidenten, versucht, die Protestierenden zu überzeugen, dass ihre Forderung undurchführbar sei. Kein Staat könne eine solche Forderung akzeptieren, sagte er. Die Entscheidung, welche Unterstützung dem Kampf des palästinensischen Volkes gewährt werde, liege einzig bei der Regierung. „Euere Aktion war ein guter Beitrag zur politischen Aufklärung, aber nun müsst ihr eurer Regierung vertrauen und ihren Anweisungen folgen.“

Aufwiegelung und Abwiegelung

Der Teheraner Staatsführung ist bewusst, dass jede direkte Beteiligung an dem Kampf der Palästinenser zu einer militärischen Gegenreaktion Israels führen könnte. Ohnehin betrachten sowohl Tel Aviv als auch Washington den israelischen Angriff gegen die Hamas als Teil einer größeren Auseinandersetzung mit dem Iran. Denn aus israelischer Sicht sitzt der Hauptfeind nicht in Gaza (Hamas), auch nicht in Libanon (Hisbollah), sondern in Teheran. Beide Organisationen würden nicht nur politisch, sondern auch finanziell und militärisch durch Iran unterstützt. Viele politische Beobachter sind der Auffassung, dass der Krieg gegen die Hamas in Gaza, sowie der 2006 gegen die Hisbollah in Libanon als Stellvertreterkrieg geführt wurden und zur Schwächung Irans führen sollten. Im Libanon-Krieg wurde das Gegenteil erreicht. Nun soll im Gaza-Krieg nach dem Willen Israels Iran so weit wie möglich an den Rand gedrängt und in die Isolation getrieben werden.

Es ist inzwischen auch kein Geheimnis, dass Israel bereits im vergangenen Jahr zu einem Militärschlag gegen den Iran entschlossen war. Einem Bericht der New York Times vom 10. Januar zufolge hatte Israels die USA diesbezüglich um Unterstützung gebeten, insbesondere um bunkersprengende Spezialbomben sowie Überflugrechte über den Irak. Der israelische  Ministerpräsidenten Ehud Olmert hatte versucht, US-Präsident George W. Bush von der Richtigkeit der Militäraktion zu überzeugen. Doch Bush lehnte ab, weil ihm ein solcher Schlag nicht effizient genug schien, und er zudem eine weitere Destabilisierung des Nahen Ostens befürchtete.

Iran auf diplomatischem Parkett

Dennoch ist ein Militärschlag Israels gegen den Iran nach wie vor nicht ausgeschlossen. Bekanntlich richtet sich Tel Aviv nicht immer nach dem Willen Washingtons. In Anbetracht dieser Umstände versucht Teheran möglichst alles zu vermeiden, um direkt in dem Israel-Palästina-Konflikt verwickelt zu werden. Im Gegenteil, die Islamische Republik tritt in diesen Tagen in der Pose einer regionalen Großmacht auf, die in der Lage ist, durch ihren Einfluss Frieden zu stiften und Konflikte auf diplomatischem Weg zu lösen. So läuft seit Kriegsbeginn die Teheraner Diplomatiemaschinerie auf vollen Touren. Parlamentspräsident Ali Laridschani begab sich auf eine Reise nach Syrien zu Gesprächen mit der syrischen Staatsführung und Vertretern der Hamas, danach traf er in Beirut den Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah. Gleichzeitig reiste der Generalsekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats Irans, Said Dschalili, im Auftrag des Revolutionsführers in zahlreiche Hauptstädte der Region und führte unter anderem in Ankara Gespräche mit Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Insgesamt wurden 21 Gesandte der Regierung in die Nah- und Mitteloststaaten geschickt.

Ziel dieser diplomatischen Aktivitäten ist, erstens die Forderungen von Hamas zu unterstützen und zweitens zu vermeiden, dass andere Länder wie Ägypten oder Saudi-Arabien durch ihre Vermittlungsbemühungen international aufgewertet werden und damit Iran aus dem Spielfeld gedrängt wird. Zudem befürchtet das Regime in Teheran, dass der ganze Konflikt um Gaza zu einer seit langem von den USA erwünschten Frontbildung arabisch-sunnitischer Staaten gegen die so genannte schiitische Achse unter iranischer Führung führen könnte. Der iranischen Staatsführung ist jedenfalls bewusst, dass nicht nur Israel, sondern auch die arabischen Staaten hoffen, dass die militärische Auseinandersetzung mit Hamas zu einer Schwächung der Position Irans in der Region führt. Um dies zu verhindern versucht Teheran, die Massen in den arabischen Staaten zu mobilisieren und damit die Regierungen zu einer entschiedeneren und radikaleren Haltung zu zwingen. Ideal für die Islamische Republik wäre die Bildung einer gemeinsamen Front arabisch-islamischer Staaten. Ob dieses gelingt, ist mehr als fraglich.

Eine gemeinsame arabisch-islamische Front ?

Am 13. Januar 2009 kündigte Außenminister Manuchehr Mottaki, der in den letzten Tagen zahlreiche Telefonate mit seinen Amtskollegen aus der Region, aber auch aus Europa und dem Fernen Osten führte, an, dass demnächst eine Delegation der Islamischen Konferenz zu Gesprächen über den Gaza-Konflikt in Teheran eintreffen werde. Seine Regierung habe versucht, Palästinensern im Gaza-Streifen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, doch ein Schiff mit lebenswichtigen Gütern sei durch Ägypten boykottiert und das Angebot Irans, verletzte Palästinenser aufzunehmen, abgelehnt worden. Ziel der Regierung in Teheran sei ein sofortiger Waffenstillstand, der Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gaza-Streifen, die Öffnung der Transportwege – und, als Konsequenz aus diesen Maßnahmen, die Einstellung der Raketenabwürfe durch die Hamas, sagte Mottaki. Um Israel unter Druck zu setzen, hatte Teheran den Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Israel und den Boykott israelischer Waren gefordert. Doch diese Forderungen blieben bislang ohne Widerhall. Einzig Venezuela, das seit geraumer Zeit mit dem Iran enge freundschaftliche Beziehungen pflegt, wies den israelischen Botschafter aus.

Bislang kann Iran bei seinen diplomatischen Bemühungen keine Erfolge verbuchen. Während Ägypten es inzwischen gelungen ist, bei dem Konflikt eine Schlüsselrolle zu übernehmen, bleibt die internationale Bühne für den Iran versperrt. Was könnte Iran also tun? Die bisherige Zurückhaltung aufgeben und versuchen, etwa von Libanon aus eine neue Front gegen Israel aufzumachen? Das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Zudem ist inzwischen bekannt, dass die libanesische Hisbollah nicht als verlängerter Arm Irans fungiert und sich nicht nach Irans Wünschen und Interessen richtet, sondern nach seinen eigenen. Das gilt auch für die Hamas - obwohl beide Organisationen sowohl finanziell als auch militärisch von Teheran unterstützt werden. So bleibt Teheran vorerst keine andere Wahl, als sich mit verbalen Attacken und Massenaufmärschen im eigenen Land zu begnügen und ansonsten am Rande des Spielfelds zu stehen und abzuwarten, wie sich der Konflikt weiter entwickelt.

Dossier

Machtkampf im Iran: Wo ist meine Stimme geblieben?

Drei Millionen Iraner_innen gingen vor einem Jahr auf die Straße und drückten ihren Unwillen aus. Grün - wurde die Farbe der Bewegung; Grün - als Symbol der Hoffnung auf einen politischen Wandel. Kann aus dem grünen Funken, der besonders unter den gebildeten jungen Iraner/innen weiter lebt, erneut ein Feuer der Freiheit werden?

Dossier

Krise in Gaza

Am 27. Dezember 2008 begann mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen Israels Offensive „Gegossenes Blei”. Zwar herrscht seit dem 18. Januar 2009 eine Waffenruhe, aber eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht. Hintergründe und Stimmen zu dem Konflikt finden Sie in unserem Dossier.